Monthly Archives Dezember 2012

Mobile Betriebssysteme 2013

2013 wird ein spannendes Jahr in der mobilen Welt. Die Karten sind grundsätzlich verteilt: Android und Apple teilen sich das große Stück vom Kuchen. Abseits davon wird in einigen Backstuben aber schon seit längerem mit neuen Rezepturen und Zutaten experimentiert. Und wie man am Fall von Nokia sehen kann: es kann sehr schnell gehen, dass sich was ändert! Im Folgenden ein kurzer Überblick über die 2013 erscheinenden mobilen Betriebssysteme und danach noch ein paar Gedanken zu Windows Phone…

Jolla Sailfish

Jolla wurde von ehemaligen Nokia-Mitarbeitern gegründet, die die Arbeit an MeeGo weiterführen. Das finnische Unternehmen soll bereits 200 Millionen Dollar an Investments lukriert haben. Erste Geräte sollen ab 2013 in China gemeinsam mit Partnern vor Ort veröffentlicht werden. Jollas Betriebssystem heißt Sailfish OS und integriert Teile aus MeeGo und Mer. Ein wesentlicher Vorteil ist ein Kompatibilitäts-Layer der das Ausführen von Android-Apps erlaubt. Damit profitiert Sailfish vom Android-Ökosystem und dessen hoher Verbreitung.

Nachfolgend eine Art Imagevideo zur Sailfish Benutzeroberfläche, sowie ein Interview mit CEO Marc Dillon und CIO Stefano Mosconi nach der offiziellen Präsentation am 21.11.2012 in Helsinki. Das Video mit der kompletten Präsentation von Sailfish OS & UI hatte ich bereits gepostet. 

Firefox OS

Der Browser als Tor zur Welt und nun auch zum Prozessor: Mozilla arbeitet an einem offenen mobilen Betriebssystem, das mit Hilfe von weit verbreiteten Webtechniken programmiert werden kann. Die Basis dazu bildet „Boot to Gecko“. Dabei handelt es sich um ein abgespecktes und angepasstes Linux mit Android-Libraries (Gonk), und der Gecko Rendering Engine, die auch im Firefox Browser zum Einsatz kommt. Das User Interface wird mit Hilfe von HTML5/CSS3/Javascript erstellt und heißt Gaia.

Mozilla möchte mit einigen Partnern Anfang 2013 Endgeräte auf den Markt bringen, die vor allem für Entwicklungsmärkte interessant sind. Dazu gibt es Koorperationen mit bspw. Telefonica in Brasilien. Für Firefox OS hat Mozilla die Entwicklung und Standardisierung von Web APIs vorangetrieben. Für mich ist Firefox eine der spannendsten Entwicklungen, da es sich um einen Ansatz handelt, der nicht nur völlige Offenheit garantiert, sondern mit der Wahl der Technologie auch die vermutlich größte Basis addressiert, nämlich Webentwickler.

Das nachfolgende Video ist eine Playlist mit einer Gesamtdauer von etwas weniger als 3 Stunden. Es zeigt die Mozilla-Mitarbeiter Andreas Gal (Director of Research) und Philipp von Weitershausen (Chefentwickler) wie sie in Brasilien das Betriebssystem, APIs, Entwicklungsumgebungen, den Marketplace und mehr präsentieren.

Tizen

Tizen ist der offizielle Nachfolger von MeeGo. Nachdem Nokia die Fenster geöffnet aber die Entwicklung an MeeGo geschlossen hatte, trat Samsung an die Stelle ein offenes Linux-basiertes gemeinsam mit Intel vorantreiben zu wollen. Samsung hatte bereits mit Bada in diese Richtung gearbeitet und gute Erfolge erzielt. Die Arbeiten an Bada wurden aber für beendet erklärt und stattdessen das vorhandene Know-How in Tizen investiert. Ursprünglich war die Rede davon noch 2012 Handys auf den Markt bringen zu wollen. Schlussendlich dürfte sich aber Samsung ein Stück weit auf den Lorbeeren ausruhen und lieber den Android-Markt abschöpfen, als sich selbst aufwändig kanibalisieren zu wollen. Deshalb wurde das Erscheinen von Geräten auf 2013 verschoben. Das SDK in der Version 2 erschien im September. Ein nicht ganz unwesentlicher Punkt ist, dass Tizen (wie auch Jolla Sailfish) den Anspruch hat ein Betriebssystem für jede nur erdenkliche Art von Endgerät zu sein (bspw. Car-Entertainment, Navigationsgerät, etc.). Das nachfolgende Video zeigt die Key Notes zur Tizen-Konferenz aus dem Mai 2012.

 

Kritische Erfolgsfaktoren

Alle drei neuen Wettbewerber begeben sich in einen Markt, der von Apple iOS und Google Android bestimmt wird. Ich erachte folgende Faktoren als kritisch, um am Markt zu reüssieren:

  • Support von OEMs: das schönste System ist eine Totgeburt, wenn es nicht aufs Gerät kommt. Hardware-Hersteller müssen das Potenzial spüren und die strategische Entscheidung treffen ein zweites (oder drittes) System untersützen zu wollen, um sich zu differenzieren oder das Risiko zu streuen. Insofern ist bspw. der massive Einsatz vom Handy-Weltmarktführer Samsung beinahe ein Garant dafür, dass Tizen lebensfähig ist.
  • Partnerschaften in der Distribution: gibt´s das System und die Geräte, braucht´s jemanden, der sie vertreibt. Und dazu gibt es nach wie vor niemand geeigneteren als die Netzbetreiber. Sie bestimmen über Wohl und Wehe der Endgeräteanbieter, wie man am Beispiel Nokia nachvollziehen kann (denn niemand will Microsoft am Spielfeld haben). Insofern ist die Partnerschaft von Mozilla und Telefonica ein starkes Indiz dafür, dass Firefox OS keine Totgeburt wird. Es ist vergleichsweise leichtgewichtig (= billige Endgeräte), es ist einfach dafür zu entwickeln und insofern auch leicht vom Mobilfunker anzupassen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass sich Mobilfunker ihre Geräte wieder zurück erobern wollen, nachdem sie ihnen Apple quasi weggenommen hat.
  • Entwicklerakzeptanz: Entwickler sind early adopter und ich vermute relevante Beeinflusser von durchschnittlichen Konsumenten. Gelingt es also Entwickler damit anzusprechen, dass sie wahlweise ihre existierende Software einfach migrieren können oder aber die Eintrittsbarriere in die Entwicklung gering ist, wird sich der jeweilige App Store füllen. Entwicklerakzeptanz meint hier aber auch die großen Anbieter (Spiele-Studios, Business-Anbieter,…). Und die müssen das Potenzial des Systems spüren, weshalb die vorherigen Punkte auch hier mit rein spielen.


Windows Phone wird´s nicht bringen

Ich halte zwar grundsätzlich wenig von den Business-Auguren Gartner, IDC und Konsorten, teile aber dennoch IDCs Einschätzung, dass 2013 das Jahr der Nagelprobe für Windows Phone (und RIM) wird. Vor allem scheint es für das Microsoft Betriebssystem-Universum ein Schicksalsjahr zu werden. Der IT-Koloss drückt mit seinem ganzen Lebendgewicht eine vermeintlich einheitlichte technologische Basis (Windows für ARM RT != Windows für x86) und ein über die Geräteklassen hinweg durchgängiges User Interface (the UI formally known as Metro) in den Markt. Das und die tiefgehende Integration hauseigener Dienste (Skype, Skydrive, Zune, XBox, etc.) soll nach Ansicht Microsofts einen Kundennutzen bedeuten. Dennoch schließe ich mich der Analyse von Charlie Demerjian an: Microsoft ist gescheitert.

Microsoft scheitert offenbar kategorisch in Bereichen, die wettbewerbsorientiert sind, wie bspw. mobile Betriebssysteme, Audioplayer (Zune) und über lange Zeit Spielekonsolen (die XBox war erst nach vielen Jahren Investment profitabel). Dazu passt auch, dass Microsoft das unter eigener Hardware und Marke verkaufte Handy Kin nach nicht einmal zwei Monaten eingestellt hat. Ein kürzlich aufgetauchtes Video zeigt das desaströse Abschneiden des Kin bei Usability Tests. Microsoft kann sich des weiteren den zweifelhaften Erfolg auf die Fahnen heften mit der Hilfe des eingeschleusten Erfüllungsgehilfen Stephen Elop den einstigen Handy-Weltmarktführer Nokia in die Bedeutungslosigkeit und vielleicht demnächst komplett gegen die Wand gefahren zu haben. Deshalb schließe ich mich der Meinung an, dass Stephen Elop der schlechteste CEO aller Zeiten ist und zu Recht gemeinsam mit Steve Ballmer in den Top 5 der schlechtesten Chefs von Technologie-Unternehmen rangiert.

Es gibt noch weitere Gründe, weshalb ich der Meinung bin, dass Microsoft auch weiterhin keine bedeutende Rolle im mobilen Bereich spielen wird:

  • Es gibt weder für Nutzer noch Entwickler einen Grund sich freiwillig ein mobiles OS anzutun, das im Vergleich zum Mitbewerb weniger offen aber dafür teurer ist, weniger Apps (bzw. aus Sicht des Entwicklers Abnehmer) verspricht und auch sonst keinen Vorteil liefert. Das User Interface als Kaufargument zählt IMHO auch nur für Design-Nazis.
  • Offene Standards setzen sich mittel- bis langfristig immer durch. Vor allem, wenn es sich um ein branchenweites „Commodity“ ohne Zusatznutzen handelt. Insofern werden offene Systeme und Standards gegenüber proprietären Individuallösungen auch weiterhin an Relevanz gewinnen.
  • Ich erkenne keinen Grund, warum eine durchgehende User Experience über verschiedene Gerätegruppen hinweg mehr Sinn macht, als die spezifische Lösung für die Gerätegruppe. Warum wiederholt Microsoft genau dieses Vorgehen, das schon bei Windows „auch unser Handy hat einen Start-Button“ Mobile (worst User Experience ever!) nicht funktioniert hat – nur diese Mal ganz im Trend der Zeit „mobile first“?! Das Ubuntu-UI Unity ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass der Versuch gut etablierte Usability-Gewohnheiten zu ändern auf Widerstand trifft (und gleichzeitig das Tor für Wettbewerber wie Linux Mint öffnet).
  • Last but not least: ausgehend von einem globalen Marktanteil an Smartphones von weniger als 3 % (abhängig von der Betrachtung möglicherweise auch weniger als 2 %) und gleichzeitig geschlagen von Betriebssystemen, die im vergangenen Jahr weder in neuen Handys verwendet, noch tiefgehend weiterentwickelt und nicht mal zu einem Bruchteil so stark beworben wurden wie Windows Phone (die Rede ist von Symbian und Bada) kann also kaum die Rede vom dritten „mobilen Ökosystem“ sein.

Summa summarum gehe ich also davon aus, dass Windows Mobile/Phone/whatever-it-is-called-this-week auch weiterhin irrelevant sein werden. Umso mehr bin ich dafür auf die oben vorgestellten Betriebssysteme gespannt!

 

Nachtrag 30.01.2013:

Ubuntu for Phones

Gleich am Anfang des Jahres hat sich mein kleiner Artikel überholt, da Ubuntu sich zu den Herausforderern unter den mobilen Betriebssystemen gesellt hat. Hier ein Trailer und die virtuelle Key Note von Mark Shuttleworth.